Wie können Unternehmen aus ihrer Geschichte lernen, Matthias Berninger?
Shownotes
Nur knapp zwei Prozent der Unternehmen, die während der Zeit des Nationalsozialismus tätig waren, haben ihre Rolle und Geschichte aus dieser Epoche aufgearbeitet, wie eine Studie zeigt. Zu diesen wenigen Unternehmen zählt auch der Agrar- und Pharmakonzern Bayer AG. Für ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmensgeschichte gründete die Bayer AG im Jahr 2023 die unabhängige Hans und Berthold Finkelstein Stiftung. Diese hat unter anderem das Ziel, die Erinnerungskultur innerhalb des Unternehmens zu stärken sowie Forschungs- und Erinnerungsprojekte zu den Verbrechen des Nationalsozialismus zu fördern und umzusetzen.
Vorher gibt Andrea Schneider-Braunberger, Historikerin und Geschäftsführerin der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V., einen Einblick in den aktuellen Forschungsstand zur Rolle von Unternehmen und Wirtschaft während der Zeit des Nationalsozialismus – und deren Aufarbeitung.
Wie sieht diese Erinnerungskultur genau aus? Wer waren die Namensgeber Hans und Berthold Finkelstein? Und weshalb ist die Aufarbeitung der eigenen Geschichte eine wichtige Bedingung für funktionierende demokratische Strukturen im Unternehmen ? Das erklärt Matthias Berninger, Leiter des Bereichs Public Affairs, Sustainability & Safety bei Bayer, in dieser Folge im Interview mit Elisabeth Niejahr und Sophia Becker von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Der Podcast Democracy@Work entstand im Rahmen des Projekts Business Council for Democracy (#BC4D). Der BC4D ist ein Netzwerk von Arbeitgebern, das sich für Demokratie am Arbeitsplatz einsetzt. Dazu gehören unter anderem Schulungen zur Ausbreitung von Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen. Der BC4D ist ein Gemeinschaftsprojekt der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und des Institute for Strategic Dialogue.
Dieser Podcast wird produziert vom Studio ZX, ein Unternehmen des ZEIT Verlags.
Weitere Informationen gibt es hier:
Redaktion: Anna-Lena Limpert, Sophia Becker, Elisabeth Niejahr, Mona Mann
Moderation: Sophia Becker, Elisabeth Niejahr, Jonas Ross
Projektmanagement: Mona Mann, Bjarne Kuhrt
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00:00:00: Democracy at work. Wie kann Engagement für Demokratie in Unternehmen gelingen? Ein Podcast des Business Council for Democracy, kurz BCVD. Die gemeinnützige Hertie Stiftung hat mit zwei Partnern der Robert Bosch Stiftung und dem Institute for Strategic Dialogue den BCVD als Netzwerk geschaffen, das Arbeitgeber mit einem Zweck zusammenbringt Demokratie stärken. In diesem Podcast zeigen wir, wie Unternehmen das ganz praktisch umsetzen.
00:00:35: Den Austausch eines Halogens an Kohlenwasserstoffmolekülen, Den beschreibt die sogenannte Finkelstein Reaktion. Sie ist benannt nach ihrem Entwickler Dr. Hans Finkelstein. Hans Finkelstein wurde 1885 in Leipzig geboren, studierte Chemie in Leipzig und Dresden. Später promovierte er und entwickelte währenddessen die Reaktion, die tausendfach zitiert, weiterentwickelt und bis heute Teil des Chemieunterrichts ist und die bis heute in der chemischen Industrie eingesetzt wird, zum Beispiel bei der Herstellung von Farben.
00:01:23: Nach seiner akademischen Laufbahn trat Hans Finkelstein als junger Wissenschaftler 1911 in ein Unternehmen ein. Die chemischen Fabriken, vormals Weiler Termer in Uerdingen. Dort arbeitete Finkelstein später im Laufe seiner Karriere als wissenschaftlicher Leiter und als Prokurist. Die chemischen Fabriken, vormals Weiler ter Meer, wurden so wie die Farben Fabriken vormals Friedrich Bayer und Co. 1925 Teil der neu gegründeten Interessengemeinschaft Farben, kurz die IG Farben und die entwickelte sich während des Nationalsozialismus zum größten Chemie und Pharmakonzern der Welt.
00:02:11: Hans Finkelstein stammte aus einer jüdischen Familie, konvertierte aber mit zehn Jahren zum Protestantismus. Er wurde während des Naziregimes diskriminiert und verfolgt. 1938 wurde er gezwungen, das Unternehmen zu verlassen und sein Reisepass abzugeben. Hans Finkelstein nahm sich am 30. Dezember 1938 im Alter von 53 Jahren das Leben.
00:02:42: Sein Sohn Berthold Finkelstein wurde wegen der jüdischen Wurzeln seines Vaters ebenfalls von den Nazis verfolgt und zur Zwangsarbeit in der IG Farben verpflichtet. Dem Unternehmen, in dem sein Vater arbeitete, genauso wie seine Mutter und die beiden Geschwister, überlebte Berthold Finkelstein die Verfolgung durch die Nazis. Er setzte sich als Gründer des Gustav Stresemann Institutes bis zu seinem Tod für Demokratie in Europa ein und widmete sich der politischen Bildung.
00:03:19: Aufgrund des erlittenen Unrechts und ihrer Verfolgung sind Hans und Berthold Finkelstein Namensgeber der gleichnamigen Stiftung. Die wurde 2023 von der Bayer AG mit dem Ziel gegründet, die Geschichte des Unternehmens aufzuarbeiten. Denn die Farben Fabriken, vormals Friedrich, Bayer und Co gehörten zu den Gründungsmitgliedern. Die heutige Bayer AG ging dann nämlich 1952 aus der IG Farben hervor. Die IG Farben war an Kriegsverbrechen beteiligt.
00:03:52: Das Unternehmen kooperierte mit den Nationalsozialisten, profitierte von Kriegswirtschaft, Enteignung, Ausbeutung und Zwangsarbeit.
00:04:05: Und mit dieser Geschichte der Familie Finkelstein begrüße ich Sie zu dieser ersten Folge von Democracy at Work. Mein Name ist Jonas Ross und in dieser ersten Folge wollen wir einiges besprechen, wie Bayer mit dieser Vergangenheit umgeht. Wie die Geschichte von Hans und Berthold Finkelstein die Gegenwart des Unternehmens mit formte und was die Aufarbeitung der eigenen Unternehmensgeschichte für eine Wirkung haben kann. Schön, dass Sie mit dabei sind.
00:04:48: Wir sind mit der Mitarbeiterakte Zu dem Enkelsohn, zu dem Johannes Finkelstein nach Köln gefahren. Und das war eines der bewegendsten Gespräche meines Lebens, weil wir dem Enkelsohn sehr viel Informationen gegeben haben, die er nicht hatte. Und wie das so oft im Leben ist, hat er dann gesagt Oh, ich habe auch noch eine ganze Menge Informationen und zog einen sehr, sehr langen Abschiedsbrief von Hans Finkelstein aus der Schublade.
00:05:17: Und wie genau die Aufarbeitung der Geschichte der Finkelsteins auf Bayer wirkte, darüber hören wir später noch mehr. Denn das gerade war Matthias Berninger. Das Interview mit ihm hören wir gleich. Denn Sophia Becker und Elisabeth Neher von der Hertie Stiftung haben mit Berninger, dem Leiter des Bereichs Public Affairs, Sustainability und Safety bei Bayer, über die Aufarbeitung der Geschichte und über die Geschichte der Firma Bayer gesprochen. Doch vor diesem Interview wollen wir uns zunächst anschauen, was die Forschung über die Rolle von Unternehmen und Wirtschaft während der Zeit des Nationalsozialismus weiß und darüber, wie diese Firmen ihre Geschichte aufarbeiten.
00:06:01: Oder eben nicht. Denn die Geschichte von Bayer ist kein Einzelfall. Allein die IG Farben ging neben Bayer auch in BASF, Hoechst und Kassel auf. Deshalb schauen wir, was die Wissenschaft sagt und kommen an dieser Stelle zu unserer ersten Rubrik Science at Work.
00:06:23: Science at work.
00:06:29: Und auf die Forschungshintergründe schauen wir mit ihr hier. So, und für solche Menschen in diesen Konstellationen kann das sehr hilfreich sein. Wenn ich dann Verständnis habe, wenn ich auch sage okay, ja, wir hatten Zwangsarbeiter und wir sind da auch nicht gut mit umgegangen, aber wir stellen uns halt wenigstens dazu und tun nicht mehr so, als wäre da nichts gewesen. Und ich glaube, das sind Momente, die stark sind und nach innen strahlen. Das ist Dr. Andrea Schneider Braunberger. Sie ist Historikerin und Geschäftsführerin der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte.
00:07:02: Der Verein hat sich der Förderung der unternehmens historischen Forschung verschrieben.
00:07:10: Dieser Forschungszweig ist noch gar nicht so alt. Erst Ende der 80er Jahre wurden erste Studien zur Rolle von Unternehmen im Nationalsozialismus gemacht. Schneider erzählt, dass die erste große Welle der Aufarbeitung der unternehmenseigenen NS Geschichte dann in den 90er Jahren stattfand. Ausgelöst wurde diese Welle einerseits dadurch, dass eine Vielzahl herrenloser Konten in der Schweiz auftauchten, von den Nationalsozialisten enteignet. Das Vermögen wurde dort umgeschlagen und einbehalten.
00:07:41: Die Öffentlichkeit forderte Aufklärung und Entschädigung. Das hat natürlich eine große Empörung hervorgerufen. Das war dieser eine große öffentliche Pfusch, der dieses Thema nach vorne brachte, oft gleichzeitig ein ist. In den USA sind die großen Deutschen, das war vor allem die Allianz Deutsche Bank. Große deutsche Unternehmen sind auf den amerikanischen Markt gekommen und dort hat die jüdische Community sozusagen gefordert, dass die Unternehmen, bevor sie Geschäfte machen, auf dem amerikanischen Markt erstmal bitte ihre NS Geschichte angucken müssen.
00:08:22: Das ist diese erste große Welle und dann kamen so ein paar Unternehmen mit. Dann dreht sich das. In den 2000 Jahren hatten wir auch alle schon gedacht, jetzt ist die Welle vorbei. Es hat sich so ein bisschen normalisiert. Aber es kamen dann die ersten Familienunternehmen dazu, die jetzt gar nicht so von der Öffentlichkeit getrieben wurden und auch andere, andere weitere Unternehmen, die eben für sich beschlossen hatten. Es ist gut, wenn man mit dem Thema sich mal beschäftigt und und das eben professionell macht. Allerdings, erzählt die Historikerin weiter, sind es auch heute noch die allerwenigsten Unternehmen, die ihre NS Geschichte aufgearbeitet haben.
00:08:59: Schneider, Braunberger und ihr Kollege Philipp Mäder haben dazu eine Studie gemacht.
00:09:08: Die Wissenschaftler haben 1250 Unternehmen untersucht, die nachweislich in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv waren und geschaut, welche ihre NS Geschichte aufgearbeitet haben. Als Aufarbeitung werden Studien verstanden, die von ausgewiesenen Historikerinnen und Historikern verfasst und nach den Standards des wissenschaftlichen Arbeitens erstellt wurden.
00:09:36: Von diesen 1250 Unternehmen haben genau 96 eine tiefgehende Analyse der NS Zeit gemacht. Das sind also unter 2 %. Nur 2 % der untersuchten Unternehmen haben eine wissenschaftliche Analyse ihrer NS Vergangenheit gemacht. Während sich bei einigen der untersuchten Unternehmen zwar ein Hinweis zum Beispiel auf der Website findet, blenden knapp 20 % die eigene Unternehmensgeschichte für die NS Zeit komplett aus.
00:10:08: Fast 80 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur habe sich ein Großteil der deutschen Unternehmen noch nicht mit seiner Geschichte während des Nationalsozialismus auseinandergesetzt, lautet das Fazit von Schneider, Braunberger und Meder. Ich selbst war nicht ganz überrascht, weil ich immer schon gesagt habe Na ja, also ein guter Guess ist, wenn man alles zusammenlegt, vielleicht 300, 500. Ja, es sind aber eben deutlich, es sind schon weniger. Es hat mir noch mal klar gemacht und ich glaube, das ist eben das, was man auch daraus lesen kann, dass es eigentlich einen gewissen Mismatch gibt in der Wahrnehmung.
00:10:46: Denn wenn sie sich mit vielen Leuten unterhalten, gerade auch aus Menschen aus dem Ausland, die haben alle die Wahrnehmung in Deutschland ist alles aufgearbeitet, Alles, selbst unsere wissenschaftlichen Kollegen. Ja, ja, also auch da gab es schon so, wir wissen doch schon eigentlich so viel. Klar, die Einzelfallstudien sind für den einzelnen Fall noch interessant, aber was können wir wirklich noch mehr lernen, wenn wir noch mehr Unternehmen. Angucken, um die Aufarbeitung voranzutreiben? Hält Schneider Braunberger allerdings nichts von Druck.
00:11:19: Wenn man sieht, die Fälle, wo sozusagen aus einer inneren Überzeugung heraus, dass man eben sagt Ich will es jetzt wirklich mal wissen oder es ist doch wirklich an der Zeit, dass wir verstehen, was wir da gemacht haben. Dann haben Sie auch ein anderes und ein viel nachhaltigeres Umgehen mit der Geschichte. Wir haben oft beobachten können, dass das unsere Partner, unsere diese Unternehmen die mit uns das so einen Prozess angegangen sind, dass man dann Archive aufgebaut hat. Also nicht nur dieses einmalige ich gucke jetzt irgendwo hin, sondern man hat verstanden wie wichtig das ist, dass man die Geschichte eben bewahrt, damit man sie auch immer wieder hinterfragen kann, bewerten kann und auswerten kann für sich und die Zukunft.
00:11:56: Und damit kommen wir zurück zu Bayer.
00:12:04: Denn mithilfe der Hanns und Berthold Finkelstein Stiftung setzt Bayer genau hier an wie genau? Darüber haben wir. Mit dem Leiter des Bereichs Public Affairs ist ein Ability und Safety bei Bayer gesprochen, und zwar mit Matthias Berninger. Berninger ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen. Er hat die Aufarbeitung der Konzernvergangenheit selbst maßgeblich mit vorangetrieben. Wie genau, das erzählt er gleich selbst. Allerdings erzählt er das nicht mir, sondern den beiden Interviewer innen Elisabeth Nia und Sophia Becker.
00:12:45: Elisabeth Naja, ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen Hertie Stiftung. Die Hertie Stiftung fördert Menschen und Projekte im Rahmen ihrer Leitthemen Gehirn erforschen und Demokratie stärken. Und Sophia Becker leitet innerhalb der Hertie Stiftung den Business Council for Democracy, kurz bc.de. Das ist ein Netzwerk von Arbeitgebern, das sich für Demokratie am Arbeitsplatz einsetzt.
00:13:13: Mein Name ist Jonas Rose und das ist Democracy at Work. Und damit gebe ich ab an Elisabeth Neher und Sophia Becker.
00:13:27: Hallo, ich bin Elisabeth Niejahr und mein. Name ist Sophia Becker. Uns gegenüber sitzt jetzt unser heutiger Gast Matthias Berninger. Hallo, Herr Berninger. Schön, dass Sie da sind. Ja. Schönen guten Tag, Frau Becker. Und schönen guten Tag, Frau Nina. Ich freue mich sehr, heute hier zu sein. Bevor wir so richtig ins Gespräch einsteigen. Haben wir zum Aufwärmen. Ein paar kurze Fragen für Sie mitgebracht. Und zwar dachten wir, wir lesen Ihnen die Fragen vor und entsprechend unseres Themas Demokratie dürfen Sie wählen, und zwar 1/3 Antwortmöglichkeiten.
00:14:00: Schulz.
00:14:06: Sind Sie bereit? Ich sehe ein vorsichtiges Nicken. Bereit? Dann würde ich sagen Los geht's. Vor kurzem sagte Annette Schavan, die Vorstandsvorsitzende der Hertie Stiftung Nie wieder ist schnell dahin gesprochen. Aber eine Illusion dieser Aussage stimmen Sie voll und ganz zu. Nur in Teilen zu. Oder gar nicht zu. Ich stimme der Aussage voll und ganz zu, weil es ja schon alles einmal passiert ist. Das heißt, es kann wieder passieren. In dieser Folge geht es um die Aufarbeitung der eigenen Unternehmensgeschichte.
00:14:38: Vervollständigen Sie doch daher bitte den folgenden Satz. In Deutschland ist der Stand dieser Aufarbeitung a völlig unzureichend, b verbesserungswürdig, aber immerhin auf einem guten Weg. Eine runde Sache und schon sehr gut gelungen.
00:14:57: Ich denke es unbedingt verbesserungswürdig. Democracy at Work bedeutet bei Beyer vor allem Lernen Haltung zeigen nach außen oder aktive Beteiligung an Entscheidungen.
00:15:12: Haltung zeigen nach außen und nach innen. Alsob Und in dem Fall. Eine These, Die Außenwahrnehmung zum Beispiel durch Kundinnen und Kunden von Unternehmen, die transparent mit ihrer Vergangenheit umgehen, ist immer positiver. A Stimmt, B stimmt nicht. Sie stimmt nur teilweise. Stimmt.
00:15:43: Super. Vielen Dank. Auf die Antworten gehen wir gleich noch ein. Denn jetzt haben wir ein bisschen mehr Zeit. Sind wir so langsam beim richtigen Gespräch? Herr Berninger, Bayer arbeitet seit einiger Zeit nach dem Grundsatz Keine Zukunft ohne Geschichte. Was ist damit gemeint? Na ja, Bayer ist 161 Jahre alt. Das heißt, die Geschichte unseres Unternehmens erstreckt sich über die gesamte Phase der industriellen Revolution. Zu der gehören aber auch sehr dunkle Kapitel in der Weltgeschichte und vor allem natürlich in der deutschen Geschichte.
00:16:17: Und was uns aufgefallen ist als Verantwortliche im Unternehmen, die deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind und auch natürlich in einer ganz anderen Realität aufgewachsen sind, ist. Das ist in unserem Unternehmen eine Neigung gab zwar die 161 Jahre hervorzuheben, aber dann Teile unserer Geschichte auszusparen. Und dieses Aussparen haben wir als geschichtspolitisches Niemandsland bezeichnet.
00:16:49: Und wir glauben, es ist besser, dass man sich mit der gesamten Geschichte eines Unternehmens beschäftigt, dem Guten, dem Schlechten und dem Schrecklichen. Gab es einen Schlüsselmoment, bei dem bei Bayer klar war Wir müssen mit der Unternehmensgeschichte anders, vielleicht offensiver umgehen als bisher. Denn das Thema ist ja schon längere Zeit latent da, wie bei vielen anderen Unternehmen auch. Und Sie haben gehandelt. Sie haben die Finkelstein Stiftung zum Beispiel gegründet. Darüber reden wir gleich noch. Also gab es irgendwie einen bestimmten kritischen Moment, wo sich diese Linie entwickelt hat? Aus meiner Sicht gab es gleich mehrere.
00:17:28: Also zum einen ist es so, dass die Bayer. Geschichte ja sehr eng mit der Geschichte der IG Farben verbunden ist und vielleicht sollten wir da noch mal kurz darauf eingehen, denn die IG Farben wird im Jahr 2025 100 Jahre alt war eine Reaktion der deutschen chemischen Industrie auf die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Ersten Weltkrieg und hat sich spätestens in den dreißiger Jahren, vor allem aber rund um die Zeit der Machtergreifung Adolf Hitlers dann sehr gemein gemacht mit Hitlers Regierung und damit natürlich auch den Zielen des Nationalsozialismus.
00:18:07: Das alles gipfelte darin, dass die IG Farben, eine der größten Baustellen im Zweiten Weltkrieg, wahrscheinlich sogar die zweitgrößte nach dem Manhattan Projekt in der Nähe der beiden Konzentrationslager Auschwitz eins und Auschwitz zwei in Monowitz gebaut hat. Das war eine riesige Chemiefabrik, die sogenannten Buna Werke. Und in dem Zusammenhang ging es sogar so weit, dass das Unternehmen sich mit der SS darauf verständigt hat. Ein weiteres Konzentrationslager, das wenig bekannt ist, direkt neben dieser Baustelle zu errichten.
00:18:41: Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Rahmen der Nürnberger Prozesse, wurde die Führung des Unternehmens für diese Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten auch angeklagt und viele Manager sind entsprechend auch verurteilt worden in den Nürnberger Prozessen. Und das war ein ganz wichtiger Moment, weil hier eine Narrative entstanden ist der unschuldigen Kaufleute und der Wissenschaftler, die sozusagen gar nichts dafür konnten, was das Nazi Terrorregime gemacht hat. Und viele Verurteilte wurden in der jüngeren Nachkriegsgeschichte dann auch wieder in die Gesellschaft integriert und sozusagen eher als Opfer denn als Täter betrachtet.
00:19:21: Ein Beispiel Fritz ter Meer ist einer der verurteilten Kriegsverbrecher. Der wurde dann, nachdem er rehabilitiert wurde, Aufsichtsratschef der Bayer AG. Und eine Stiftung, die es bis heute im Unternehmen gibt, wurde sogar nach seinem Namen benannt. Das hat man im Jahr 2000 dann beendet. Da wurde die Fritz der Stiftung in die Bayer Science and Education Foundation umbenannt. Warum im Jahr 2000? Weil das das Jahr war, in der sich die deutsche Industrie mit der Politik darauf verständigt hat, das Thema Zwangsarbeit zu adressieren und den wenigen überlebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern entsprechende Zahlungen zu geben.
00:20:01: Bis heute haben wir eine Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, die in dem Zusammenhang auch gegründet wurde. Für mich der bewegendste Moment war allerdings schon davor. Und zwar hat sich einer unserer Geschäftsführer, der damals in Amerika die Verantwortung für das Unternehmen hatte, getroffen mit Elie Wiesel. Elie Wiesel war einer der Inhaftierten in diesem Lager Monowitz und ist ja bekannt für seine Arbeit nach dem Zweiten Weltkrieg, für Bücher, die er geschrieben hat, aber auch für seine Arbeit an der Errichtung des Holocaust Museums in Washington.
00:20:39: Und er hat Elie Wiesel um Verzeihung gebeten. Das kam aber gar nicht gut an im Unternehmen. Für mich war die Begegnung mit diesem Teil der Vergangenheit und auch das Gespräch mit Helge Wehmeyer, so hieß der Bayer Manager und seine Erfahrung ein ganz, ganz wichtiger, ganz, ganz wichtiger Meilenstein. Und der dritte 0.1 Besuch von verantwortlichen Unternehmen in Auschwitz. Und einfach mit eigenen Augen zu sehen, wie die industrielle Planung der IG Farben und die industrielle Planung des Mordens durch zwei Blaupausen sind, die sehr viele Gemeinsamkeiten haben.
00:21:15: Gab es aus Ihrer Perspektive einen Unterschied verschiedener Generationen im Unternehmen, was diese Aufarbeitung anbelangt. Also waren es beispielsweise die Jüngeren, die die treibende Kraft waren, oder eher den diejenigen, denen die NS Vergangenheit noch näher ist? Also ich glaube, dass wir es über weite Teile der Nachkriegsgeschichte nicht geschafft haben, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das ist also nicht nur ein Generationsproblem, sondern insgesamt ein Problem der Unternehmenskultur.
00:21:47: Im Jahr 2000 haben wir dann einen ganz wichtigen Schritt gemacht. Neben Volkswagen, einigen anderen Unternehmen, hat sich die damalige Führung entschieden, bei dieser Initiative der Bundesregierung auch der Gründung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft aktiv mitzuwirken. Also von einer sehr defensiven in eine offensivere und auch, sage ich mal, derzeit angemessene Haltung überzugehen. Aber danach ist wieder ruhig geworden. Sie haben auch diesen diese diese Reise angesprochen, diese Bildungsreise nach Auschwitz, die auch noch mal eine Rolle gespielt hat.
00:22:23: Was haben Sie tatsächlich vielleicht auch aus diesem Besuch mitgenommen, sofern Sie dabei waren? Und welche Rolle spielen physische Orte der Erinnerung für die Aufarbeitung? Man könnte ja denken, es ist doch alles in Akten vorhanden und das Wissen ist da. Aber offenbar bringt ja die die Konfrontation mit Orten doch noch manchmal eine Dynamik und auch ein Nachdenken hervor, das man vielleicht vorher gar nicht antizipiert. Ich glaube, dass diese Erinnerungsorte sehr wichtig sind und nicht umsonst werden sie auch von Rechtsextremen immer wieder attackiert.
00:23:00: Ich glaube, nichts kann diese Orte ersetzen und vor dem Hintergrund ist so Besuch immer sehr, sehr wichtig. Und da gibt es die großen und die kleinen Sachen. Also wenn man in die Stadt Oswiecim fährt, die ja unmittelbar im Umkreis der Interessenszone auch wahr. Dann stellt man fest, dass viele der Gebäude dort aussehen wie in Leverkusen oder in Ludwigshafen oder in Marl. Das war die traditionelle Bauweise von Arbeitnehmersiedlung. Und es gab sehr viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die neben den Zwangsarbeitenden in der IG Auschwitz gearbeitet haben.
00:23:38: Und das war sehr bewegend, das zu sehen, weil das zeigt sozusagen eine Verbindung, die man auf dem Papier liest. Aber man, man nimmt sie anders wahr. Für mich auch sehr bewegend ist, dass von Monowitz eigentlich nichts mehr übrig ist. Also es gibt. In der Wanderausstellung der Auschwitz Gedenkstätte gibt es noch Fragmente von einigen der Baracken. Aber egal, wo ich hingucke, ob in Auschwitz, selbst in den Stammlager oder in Birkenau oder im Holocaust Museum Monowitz kommt da eigentlich gar nicht vor.
00:24:10: Und in diesem Teil der der Lagerinfrastruktur herumzulaufen und zu wissen, dass sie eigentlich nicht mehr existiert. Also etwas, was wir nicht gesehen haben, war auch sehr wichtig. Das dritte ist die Verbindung zu sehen zwischen der SS auf der einen Seite, den Häftlingen, den Zwangsarbeitern auf der anderen Seite und dann dem Management des Unternehmens, teilweise bis runter zu den Produkten. Auch da gibt es sehr viele Artefakte, die in dem Moment, wo man mit einem Firmenausweis, auf dem das Bayer Logo beispielsweise drauf ist, eine solche Gedenkstätte besucht, besucht man sie noch mal mit ganz anderen Blickwinkeln.
00:24:49: Wir haben, das hatten sie schon gesagt, viele unserer Führungskräfte eingeladen, auch an Seminaren teilzunehmen, auch diesen Ort zu besuchen. Und in den zwei Jahren, in denen wir das jetzt gemacht haben, da geht es sowohl um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Vertreter als auch um Führungskräfte aus dem Management. Und die kommen wirklich aus aller Herren und Damen Länder. Diese Erlebnisse, diese Erfahrungen, eben weil man nicht neutral in Anführungsstrichen zu so einer Gedenkstätte fährt, sondern mit dem Wissen um die Geschichte des Unternehmens, sind sehr, sehr inspirierend.
00:25:26: Und es gibt sehr viele Geschichten, die mich persönlich immer wieder auch auch berühren. Die Philosophin Hannah Arendt hat dafür ja mal den Begriff der Banalität des Bösen geprägt. Vielleicht ist das auch so ein Gedanke oder eine Empfindung, die man hat, wenn man diese Werksiedlungen sieht, die ganz ähnlich aussehen wie die, die man vielleicht aus Westdeutschland kennt. Die Bayer AG hat ja 2023 einen Schritt gemacht und die Unabhängige Finkelstein Stiftung gegründet. Der Name ist in unserem Intro schon erklärt worden, wer Herr Finkelstein war.
00:26:01: Warum war das wichtig? Was leistet so eine Stiftung, was Bayer selbst nicht leisten kann? Ja, Also eine ganz wichtige Sache ist glaube ich mal darauf hinzuweisen, dass wir ein sehr, sehr großes Firmenarchiv haben. Das ist ein Teil der deutschen Industriegeschichte. Und dieses Firmenarchiv enthält wirklich Artefakte auch wieder aus der ganzen Geschichte. Und es gibt einen Historiker, der bei uns beschäftigt ist, der aufgrund der Tatsache, dass er auch in Krefeld aufgewachsen ist und dass seine Mutter, seine Großmutter, die Finkelsteins kannte, irgendwann über diesen Namen gestolpert ist und angefangen hat, Informationen über Hans Finkelstein, einer der führenden Wissenschaftler in der IG Farben zu sammeln.
00:26:49: So dass wir sehr, sehr viele Details über das Wirken über die Zeit von ihm gesammelt haben. Dann haben wir auch festgestellt in dem Zusammenhang, dass sein Sohn Berthold Finkelstein, der später das Gustav Stresemann Institut geleitet hat, ein Zwangsarbeiter in den sogenannten Niederrhein werken der IG Farben wurde im Zuge der Nazifizierung Bemühung und vor dem Hintergrund haben wir gesagt Hans und Berthold sind zwei Namen, mit denen wir unsere Initiative, unsere Stiftung gerne schmücken möchten, auch als klaren Kontrapunkt zu.
00:27:24: Ich hatte das eingangs schon gesagt, der Fritz Termer Stiftung auch. Fritz, der mehr. Stammt übrigens aus der gleichen Stadt, die Bayer nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem nach dem Ableben von Fritz Thürmer, um ihn zu ehren, ins Leben gerufen hat. Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist, dass wir das natürlich nicht einfach so machen konnten. Das heißt, wir sind mit der Mitarbeiterakte zu dem Enkelsohn, zu dem Johannes Finkelstein nach Köln gefahren. Und das war eines der bewegendsten Gespräche meines Lebens, weil wir dem Enkelsohn sehr viele Informationen gegeben haben, die er nicht hatte.
00:27:57: Und wie das so oft im Leben ist, hat er dann gesagt Oh, ich habe auch noch eine ganze Menge Informationen und zog ein sehr, sehr langen Abschiedsbrief von Hans Hinkelstein aus der Schublade. Und dieser Abschiedsbrief endet mit einer ganz, ganz wichtigen Beobachtung. Und diese Beobachtung stammt aus dem Jahr 1938. Und die geht ungefähr so, dass Anfang der dreißiger Jahre die Eliten versagt haben. Und so kam es, wie es kommen musste. Und dieser Satz.
00:28:27: Und so kam es, wie es kommen musste, Weil die Eliten versagt haben, ist für uns auch der Startpunkt gewesen, zu überlegen Was ist die eigentliche Aufgabe dieser Stiftung? Negativ formuliert. Eliten versagen ist das, was sie adressiert. Historiker sind sich einig, dass in autoritären Regimen, in autoritären Regimen ist es in der Regel irgendwann zu spät. Die Frage Wann ist der richtige Moment? Und das Schweigen oder die Untätigkeit, wenn man noch etwas tun kann? Ist, was den Hans Finkelstein so umgetrieben hat, dass es der letzte Gedanke war, den er seiner Familie hinterlassen hat, bevor er sich das Leben genommen hat.
00:29:07: Also für mich ist das ungeheuer motivierend. Auch gerade bei der Frage werden eingangs Fragen und Antworten. Was ist eigentlich die Aufgabe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Unternehmen? Die Aufgabe ist, Haltung zu zeigen. Wir haben ja auch gemeinsam mit der Finkelstein Stiftung jetzt kürzlich ein neues Programm ins Leben gerufen für junge Führungskräfte. Vielleicht können Sie einmal erklären, was aus Ihrer Sicht die Rolle von Führungskräften auch in diesem Zusammenhang ist.
00:29:37: Wieso kommt Ihnen eine besonders wichtige Rolle zu? Haben Sie eine besondere Verantwortung im Unternehmen? Wir leben in sehr, sehr komplizierten Zeiten. Ich glaube, dass die Zeit von inkrementellen Veränderungen auch in der Art und Weise, wie Unternehmen arbeiten, durch eine Zeit sehr disruptiver Veränderungen ersetzt werden wird. Und von daher ist es ganz wichtig, dass Menschen, die eine Führungsverantwortung haben und das kann eine Führungsverantwortung für Inhalte sein. Das kann auch eine Führungsverantwortung für Mitarbeitende sein, dass Menschen mit der Führungsverantwortung Rückgrat beweisen, eingefahrene Wege infrage stellen.
00:30:19: Und was mich bei diesem Seminar reut, ist zum einen, dass wir das gemeinsam machen. Es ist eine Aufgabe, auch der Hans und Berthold Finkelstein Stiftung, mit anderen gemeinsam zu arbeiten. Das gilt für alle Stiftungsbereiche von Bayer, aber hier ist es mir besonders wichtig. Und was mir eben gefällt, ist, dass wir uns Führungskräfte ansehen, die im Alter zwischen 25 und 40 sind. Weil das sind Leute, die heute schon Verantwortung tragen oder in naher Zukunft Verantwortung übernehmen werden.
00:30:50: Klar ist, dass wir genug Probleme haben mit dem Umgang mit Geschichte, auch mit Menschenfeindlichkeit, mit Antisemitismus. Und dann kommen wir wieder eben zu dem Ziel, diejenigen, die sich bewerben, hier mitzumachen, sollten am Ende ihres Engagements sich bestärkt darin fühlen, auch Entwicklungen entgegenzutreten, indem sie Haltung zeigen. Wie sind denn Ihre Erfahrungen mit diesem Thema Haltung bisher? Auch im eigenen Unternehmen ist es eher so, dass da aus der Belegschaft kommt. Super, das wollten wir schon lange.
00:31:22: Endlich. Und jetzt hat das Management das noch mal explizit ermutigt. Oder ist das eher was, was man erklären muss und sagen muss Also das stellen wir uns vor. Und so ein Prozess, der so ganz langsam in Gang kommt, erst. Wir haben uns mit diesem Prozess schon auch die nötige Zeit genommen. Zum Beispiel bei der Frage Wie bauen wir die Stiftung auf, Nach wem benennen wir die Stiftung? Das sind alles Fragen, die, glaube ich, auch Zeit brauchen. Es war ein längerer Prozess und es gibt natürlich immer wieder die Bedenken.
00:31:54: Ich sage mal ganz flapsig Wenn man sich mit der Vergangenheit beschäftigt Liest man dann Liefert man dann nicht einfach den Kakao, durch den man gezogen wird? Ja, das ist so die große Grundsorge. Also es gibt keine reaktionären Bedenken mehr, wie wir sie in den Archiven finden, in den 40er, 50er, 60er Jahren. Das gibt es heute nicht mehr und das ist, glaube ich, auch sehr, sehr gut. Schon deshalb, weil die extreme Rechte versucht, nicht zu Unrecht aus ihrer Sicht Gras über die Sache wachsen zu lassen.
00:32:24: Es gibt in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung sehr viele Dinge, die man höflich adressieren kann. Aber diejenigen, die glauben, man könnte ein Kapitel schließen, vor allem dieses Kapitel, über das wir heute reden, die müssen auch in aller Deutlichkeit mit den Gegenargumenten konfrontiert werden. Deswegen war war für mich sehr wichtig, dass wir diesen Weg gehen. Und am Ende hat sich das auch durchgesetzt. Jetzt haben Sie nach den Reaktionen gefragt. Es gibt drei Reaktionen. Die eine Reaktion ist die Reaktion, wo Leute unmittelbar sich freuen, dass wir diesen Weg gehen, Erleichterung darüber zeigen, weil sie jahrelang so sozusagen in so einer Kultur aufgewachsen sind, wir mal gesagt hat, da redet man irgendwie nicht drüber, muss ja einen Grund geben, warum man darüber nicht redet.
00:33:12: Also sehr viel, fast schon Erleichterung. Dann gibt es eine zweite Gruppe und diese zweite Gruppe ist ist eigentlich die spannende Leute, die zum Teil 25 30 Jahre schon für Bayer arbeiten. Es gibt ja bei Bayer eine Tradition, dass man zum Teil auch Generationen im Unternehmen beschäftigt. So wie das bei anderen traditionellen Daxunternehmen der Fall ist, haben überhaupt keine Ahnung davon, was hier sozusagen in unserer Geschichte passiert ist.
00:33:43: Das heißt, das ist diese Niemandsland Situation. Und die dritte Reaktion ist von Leuten, die für ein deutsches Unternehmen arbeiten. Aber in anderen Länder zum Beispiel haben wir sehr viel mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Israel geredet, bevor wir die Stiftung ins Leben gerufen haben, auch in den Vereinigten Staaten nach dem 7. Oktober. Natürlich hat sich die Diskussion mit dem aufkeimenden Antisemitismus und der Kontroverse, die, die heute vorherrscht, ausgedehnt in viele, viele andere Länder. Und was ich so spannend finde, ist gerade die Reaktion dieser Kolleginnen und Kollegen, die sozusagen ein bisschen von außen darauf gucken, aber eben auch Teil dieses Unternehmens sind.
00:34:23: Und da gibt es viel mehr Bedarf, solche Gespräche zu führen, als wir gedacht haben. Herr Berninger, in unseren kurzen Antworten ganz am Anfang hatten Sie gesagt, dass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte sowohl für die Wahrnehmung nach innen als auch nach außen besonders wichtig ist. Könnten Sie vielleicht das noch mal in ein, zwei Sätzen erklären, was Sie meinen? Also wir hatten eine Ausstellung als ein Beispiel zu der Gedenkstätte zu dem Konzentrationslager Monowitz, die konzipiert wurde von der Gedenkstätte des Fritz Bauer Instituts.
00:35:01: Also das ist eine Ausstellung, die als Wanderausstellung in vielen Orten war. Die hatten wir zum Beispiel in unserem Berliner Hauptquartier, und dort hatten wir natürlich auch und haben wir immer Interaktionen, Kunden mit Firmen, mit denen wir Partnern. Und die Reaktionen von vielen, die uns besucht haben, bestärkt mich eben darin, dass es großen Respekt dafür gibt, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Ich finde, es wird ein bisschen überhöht in Deutschland, dass wir eine Erinnerungskultur haben.
00:35:32: Es gibt viele aus meiner Sicht auch Fragezeichen, was die Erinnerungskultur angeht. Aber es wird doch von vielen, die von außen draufgucken, gerade aus Ländern kommen, die das nicht so gut können, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Sehr respektiert und wahrgenommen, wenn man sich in einer angemessenen Weise mit der Vergangenheit beschäftigt. Es gab die Sorge, dass es in irgendeiner Form negative Rückmeldungen gibt, weil wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen. Nichts davon ist eingetreten. Ich habe auch nicht damit gerechnet, weil ich eben glaube, dieser Grundrespekt ist da.
00:36:05: Und der Stefan Ulrich, der bei uns unser Pharmageschäft leitet. Der war völlig überrascht und auch emotional sehr positiv mitgenommen von der Reaktion, die er von einigen seiner wichtigsten Geschäftspartner auf dieser Ausstellung hatte. Sagen wir, Sie arbeiten in einem Unternehmen, das sich bisher noch nicht mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt hat. Aber sie würden es gerne tun. Wie fängt man hier an? Wie startet man, Wo geht es los? Also eine ganz wichtige Sache, glaube ich, werden alle Historikerinnen und Historiker bestätigen.
00:36:41: Ist die Suche nach Artefakten. Wir haben da eine besonders gute Situation Einfach aufgrund unseres Archives und aufgrund der sehr intensiven Forschung an der IG Farben und an der Verquickung der deutschen Großindustrie mit dem Nationalsozialismus. Insofern haben wir es da leichter gehabt. Wenn ich jetzt ein kleineres Unternehmen betrachte. Ein Familienbetrieb betrachtet zum Beispiel, dann ist sozusagen die Suche nach Artefakten ist ein ganz wichtiges Thema.
00:37:12: Der zweite Punkt. Und da komme ich wieder zu dem Hans Finkelstein, auch zu dem Berthold Finkelstein, aber besonders zu dem Hans in dem Fall ist das Leben von Kollegen in den Blick zu nehmen, ganz bewusst den Umgang zu personalisieren. Wir haben Führungskräfte im Unternehmen in dieser Zeit agiert. Das waren Menschen, die wie wir heute auch sich mit der jeweiligen Situation beschäftigen. Und dieser Umgang mit Entscheidungen von Führungskräften, das ist ein ganz wichtiger.
00:37:42: Also Unternehmen sind keine abstrakten Gebilde. Unternehmen sind in der Regel das Ergebnis von Menschen, die in Situationen Entscheidungen treffen. Und auf genau diese Entscheidungen zu schauen und diese Situation zu schauen, erscheint mir besonders wichtig. Der, der. Hans Finkelstein. Ich betrachte den als einen meiner Kollegen. Der hat ja darauf verzichtet, sein 25 jähriges Firmenjubiläum kurz nach der der der Machtübernahme der Nationalsozialisten offensiv zu feiern, weil er schon gemerkt habe Das wird aber schwierig.
00:38:15: Und dann hat man gesagt Na ja, du musst aber nicht integrieren und so, du leistest hier einen super Job, Du bist einer unserer führenden Wissenschaftler und hat den so lange wie möglich sozusagen im Unternehmen weiterwirken lassen, bis es irgendwann in Anführungsstrichen nicht mehr ging, bis die Archivierungsgesetze und der Druck auf die Unternehmen so war, dass nichts mehr ging. Diese ganzen Kapitel nachzuvollziehen am Beispiel von Menschen, ist mir eines der ganz wichtigen Bausteine einer Beschäftigung mit der Vergangenheit.
00:38:46: Und dann kommen wir zum Dritten Punkt. Was heißt das für uns heute? Ist eine ganz wichtige dritte Frage, die man nicht vergessen darf Was ist das Wort? Was machen wir mit diesen ganzen Sachen? Es reicht nicht ein, Wissenschaftler damit zu beschäftigen, ein Buch zu schreiben, das über ein Unternehmen forscht, das man sich dann ins Regal stellt. Das haben viele Unternehmen gemacht. Das, glaube ich, reicht nicht. Was sind denn aus Ihrer Sicht die To Dos, die für Bayer jetzt anstehen, in Hinblick auf heutige und kommende Herausforderungen für die Demokratie und auch für die Erinnerungskultur? Was steht noch auf Ihrer To Do Liste? Ich finde, und da geht es nicht nur um Bayer, sondern insgesamt, dass die Rolle der deutschen Wirtschaft zum Beispiel in der Region rund um die Konzentrationslager in Auschwitz unterbelichtet ist.
00:39:34: Die Rolle der deutschen Wirtschaft in Auschwitz, die ja auch nur ein Randthema der Auschwitzprozesse war, scheint mir eines der Themen zu sein, wo wir alle miteinander, in dem Fall alle Unternehmen, die davon betroffen sind, mehr machen können. Und es ist ja oft davon geredet worden, dass Zeitzeugen immer weniger da sind. Und gerade weil Zeitzeugen immer weniger da sind, glaube ich, haben wir eine ganz wichtige Aufgabe, uns gegen das Vergessen zu stellen. Wir haben heute nicht mehr das Problem des Verdrängens, aber wir haben das Problem des Vergessens.
00:40:07: Und beides hat für diejenigen, die auf totalitäre Regime setzen und diejenigen, die auf Ausgrenzung setzen, natürlich den gleichen Vorteil. Ob ich etwas verdränge oder ob ich es einfach nicht weiß, hat sozusagen eine ganz erleichternde Funktion für die extreme Rechte. Insofern sich dagegen zu stellen. Es ist etwas ganz Wichtiges. Die zweite Sache, die ich wichtig finde, ist nicht nur zu erinnern, so wie wir das ja auch in unserem Stiftungsmotto haben, nicht nur in die Forschung zu investieren, damit wir noch mehr erfahren, sondern auch zu überlegen Was heißt das für heute? Was heißt das für individuelle Unternehmensentscheidungen? Was heißt das für große wie kleine Entscheidungen? Was heißt das für die Haltung, die wir einnehmen? Was heißt das für den Umgang mit Regierungen, die eine autoritäre Grundprägung haben? Vielleicht mögen Sie zum Abschluss noch sagen, welche Rolle für Sie auch der Austausch mit anderen Unternehmen spielt.
00:41:06: Sie haben jetzt ein paar Mal im Plural von der deutschen Wirtschaft gesprochen, die bestimmte Dinge angehen müsste. Bayer selbst hat sich, glaube ich, mit einigen Unternehmen auch intensiv ausgetauscht, bevor dieser ganze Prozess der Stiftungsgründung in Gang gesetzt worden ist. Wir sind ja ein Netzwerk, das überzeugt ist, dass Austausch und sich gegenseitig auch ab und zu mal unterhaken viel hilft. Und zwar auf ganz unterschiedlichen Ebenen beim Topmanagement. Aber so wie wir das machen, ja auch einfach bei den Teilnehmern von Kursen aus ganz unterschiedlichen Unternehmen und manchmal auch in ein und derselben Firma.
00:41:40: Vielleicht mögen Sie uns da noch mal einen Einblick geben. Wir sind ein Netzwerk. Welche Rolle spielt Netzwerken für Sie bei diesem Thema? Erinnerungskultur und der Austausch mit anderen Unternehmen. Als Bayer sind wir relativ spät in diese Gruppe zugestoßen, eben weil das Thema Beschäftigung mit der Vergangenheit so ein Thema hatte und man das im Grunde abgehakt hatte. Vor dem Hintergrund hatten wir den Vorteil, dass wir von anderen lernen konnten. Also so schlecht das aus meiner Sicht ist, dass es uns so lange Zeit gekostet hat und dass wir da auch, sage ich mal, nicht immer nur in die richtige Richtung gegangen sind in der Beschäftigung mit der Vergangenheit.
00:42:20: So gut ist es doch, dass andere Unternehmen offen waren und uns auch entsprechend inspiriert haben. Und das auch Unser Angebot. Also. Für Unternehmen, die sich mit dem Thema beschäftigen wollen, stehen wir jederzeit zur Verfügung. Wir haben ein Team von Leuten, die freiwillig daran gearbeitet haben, die hauptamtlich an dem Thema arbeiten, die die Stiftung leiten. Ich selber auch. Wir sind da immer offen. Führen würden gerne, wie man so schön im Englischen sagt, vor Ort machen und entsprechend unseren Erfahrungen auch mit anderen teilen.
00:42:51: Wir müssen das gemeinsam machen, weil das keine Frage von individuellen Unternehmensentscheidungen ist. Alles, was wir lesen über die Frage, wie totalitäre Regime sich durchsetzen, wie die Demokratie in Frage gestellt wird, wie einzelne Gruppen identifiziert und dann ausgegrenzt werden, zeigt systemische Themen. Das ist keine Frage von individuellen Unternehmen, noch weniger von individuellen Unternehmerentscheidungen. Das ist oft eine Frage, die größere Gruppen beschäftigt, weswegen es mir wichtig ist, dass wir ein starkes Netzwerk bilden, das zum Beispiel auch die Demokratie, die wir so oft für selbstverständlich halten, gegen Tendenzen verteidigt, die sie systematisch aushöhlen wollen.
00:43:36: Ein Thema, das mir große Sorgen macht, auch vor dem Hintergrund, dass ich mal im Bundestag gesessen habe. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass in dem Gebäude, in dem Hermann Göring mal Reichstagspräsident war, politische Kräfte sich festsetzen, die für unsere Demokratie allenfalls Hohn übrig haben. Und ich möchte mir nicht vorstellen, dass ich mich irgendwann fragen muss, ob die Eliten und damit auch ich in der Situation, wo man was tun kann, versagt hätten. Vielen, vielen Dank, Herr Berninger. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Schlusswort an dieser Stelle.
00:44:10: Vielen Dank und viele Grüße an Ihre Mitstreiter in der Finkelstein Stiftung. Ich möchte mich für das Gespräch heute bedanken, aber am allermeisten für die Arbeit, die Sie schon viele Jahre machen. Ich glaube, das, was die Hertie Stiftung hier vorangebracht hat, dass das, was Sie auch mit Unterstützung von anderen. Wir haben die Bosch Stiftung nicht genannt auch das Institute for Strategic Dialogue, die daran mitwirken, Eine ganz, ganz wichtige Aufgabe hat. Und was ich besonders schätze, ist die unaufgeregte Weise, in der die Initiative, die Sie gestartet haben, einen Unterschied in der Gesellschaft macht.
00:44:44: Ich glaube, das ist ganz wichtig, weil Polarisierung uns nicht unbedingt helfen wird, die Demokratie zu verteidigen. Wir müssen unaufgeregt, aber beharrlich daran arbeiten, und wir müssen immer sehr früh dran arbeiten. Also lange Rede, kurzer Sinn. Ich bin ungeheuer dankbar für die vielen Inspirationen, auch aus Ihrer Arbeit. Ganz herzlichen Dank. In diesem Geist machen wir zusammen weiter. Herzlichen Dank. Machen wir gern.
00:45:14: Also Unternehmen müssen ihre eigene Geschichte aufarbeiten und können dafür einiges tun. Ihr Erinnern hilft nicht nur den eigenen Mitarbeitenden, sondern trägt auch zu einer demokratischen Gesellschaft bei. Und von Bayer kann man sich, finde ich, eine ganze Menge abschauen. Change at work.
00:45:40: Und genau deswegen fassen wir an dieser Stelle in unserer dritten und letzten Rubrik einmal zusammen, was wir aus dieser Folge lernen können und was sich in der Unternehmenspraxis anwenden lässt. Das ist zum Beispiel, dass.
00:45:58: Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte nach innen und nach außen von Vorteil ist. Matthias Berninger sprach von ausnahmslos positiver Resonanz externer Unternehmen und Menschen und auch der Wirkung auf die eigenen Mitarbeitenden.
00:46:14: Dass die Geschichte der Rolle von Unternehmen im Nationalsozialismus komplex ist und dass es für das eigene Verständnis auch helfen kann, diese Geschichte anhand von Menschen und ihren Geschichten nachzuvollziehen. Wie die Geschichten von Hans und Berthold Finkelstein.
00:46:37: Außerdem nehmen wir mit die Arbeit von Historikerin Andrea Schneider. Braunberger an der Arbeit von Beyer und der Finkelstein Stiftung zeigt, dass Aufarbeitung strukturiert und nach aktuellen wissenschaftlichen Standards erfolgen muss. Und wir können aus der Podcastfolge einmal mehr lernen, dass es wichtig ist und ein Mehrwert bietet ein Unternehmen auch in diesem Aspekt zusammenarbeiten und sich austauschen, voneinander abschauen. Und eines zeigt sich ganz klar Es ist nie zu spät, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.
00:47:13: Das war die erste Folge dieser sechsteiligen Podcast Staffel. Die nächste Folge kommt in zwei Wochen und wenn euch der Podcast gefällt, dann bewertet ihn gerne und abonniert in. Dieser Podcast wurde übrigens im Rahmen des Projekts BCforDE entwickelt. Das ist kurz für Business Council for Democracy. Der BCVD ist ein Netzwerk von Arbeitgebern, das sich für Demokratie am Arbeitsplatz einsetzt. Dabei können zum Beispiel Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Schulungen zur Ausbreitung von Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen erfahren und lernen, etwas dagegen zu tun.
00:47:50: Der BCVD ist ein Gemeinschaftsprojekt der gemeinnützigen Hertie Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und des Institute for Strategic Dialogue. Mehr dazu in den Shownotes. Produziert wird dieser Podcast vom Studio ZX, einem Unternehmen der ZEIT Verlagsgruppe.
Peter Steinhoff
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